amaria, Irmgard Icks, Angelika Mauel
amaria
Vor über zehn Jahren wünschte ich mir lediglich, ein dünnes, ernüchterndes Buch über den Alltag in Kindergärten zu schreiben, doch kein Verlag war daran interessiert. Eltern würden nicht wissen wollen, dass ihre Kinder nicht gut untergebracht sind, meinte man mehr als einmal und Erzieherinnen würden keine Kritik an ihrer Arbeit schätzen. (Stimmt.) „Keine Zielgruppe – kein Buch!“ hieß es lapidar.
„Gibt es einen Professor, eine Kapazität, die ein Vorwort schreibt?“ – „Bevor Sie als Erzieherin eine Chance auf eine Veröffentlichung haben, müssen Sie sich erst im Internet einen Namen gemacht haben!“ – „Wenn Sie ein Buch schreiben, brauchen Sie unbedingt einen markanten Titel! Etwas wie „Schafft diese Kitas ab!“ – Als ein Lektor mir dies hinterher rief, war ich vollends frustriert. Ein Buch dieses Titels wollte ich ganz bestimmt nicht schreiben. So schlecht fand ich Kindergärten nun auch wieder nicht. – Immerhin werden Kindergärten von Mädchen und auch von Jungen meist mehr geliebt als Schulen. Darauf können Erzieherinnen stolz sein. Vor allem, seit sich die Rahmenbedingungen in Krippen und Kitas vielerorts hin zu „Dramenbedingungen“ entwickelt haben.
Fernab von Facebook und Twitter beherzigte ich dann doch noch den Rat jenes Lektors, über den ich mich ganz besonders geärgert hatte. Je unangenehmer sich der Einfluss von Politik und Wirtschaft auf den Kindergartenalltag bemerkbar machte, umso sinnvoller fand ich es, über die Zustände in Klein-Pädagogien zu sticheln und provozierende Fragen zu stellen. Recherche im Internet war angesagt. Nachrichten des Tages und immer wieder die Postings der Berufskolleginnen sowie Telefonate mit jenen, die reden wollten und sich Zeit nahmen.
In den Fachforen für Erzieherinnen erlebte ich über Diskussionen und Privatnachrichten einen intensiven Gedankenaustausch, der zum kritischen Schreiben geradezu aufforderte. Nichts war inspirierender als die Auseinandersetzung mit dem, was in den Fachforen der eigenen Berufsgruppe publik wurde – und von Politikern und Bildungswissenschaftlern souverän ignoriert wurde.
Unter dem Nick „amaria“ wurde ich forensüchtig und streitbar, schrieb ab 2009 im damals meistfrequentierten „Kindergartenworkshop“ und ab 2011 überwiegend im Forum für Erzieherinnen“. Wie andere auch erlangte ich Ränge wie „Stammgast“, „Schriftstellerin“ oder gar „Göttliche Nanny!“…und eröffnete einige unkonventionelle Threads, die vielleicht geeignet sind, längst überfällige Diskussionen auszulösen.
Eltern, die etwas darüber erfahren wollen, was ihnen auf Elternabenden vorenthalten und in der etablierten Presse nicht nachzulesen ist, sollten unbedingt googeln – und sich nicht scheuen, in den Fachforen der Erzieherinnen zu lesen…
„Irmgard Icks“
ist eine Kunstfigur, mit der mein Schreiben über den Kindergartenalltag ab 2008 erstmalig im Rahmen von Lesungen der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Eine circa fünfunddreißigjährige Erzieherin unterhält sich in ihrer Freizeit mit ihrem Nachbarn Asmus, einem Soziologiestudenten, über die Zustände in modernen Krippen und Kitas. Dass die Texte autobiographische Züge tragen, leugne ich nicht. Wie die Protagonisten arbeite ich seit Jahren nur noch als Springkraft in Kindergärten. Denn auch wenn ich wirklich gern beobachte und schreibe, so lehne ich es doch ab, mich an der den Erzieherinnen abverlangten Dokumentationspraxis zu beteiligen. „Göttliche Nanny is watching you?“ – Nein danke!
Lieber dokumentiere ich auf meine Art: Unwissenschaftlich, unbürokratisch, eigensinnig – und garantiert unzertifiziert!
Wie bitte?„Die Mindestgröße für ein Außengelände soll nicht mehr gelten? – Gut, dass das Thema endlich angesprochen wird!“ – „Nein, mit einer Verkleinerung sind wir nicht einverstanden. Wir fordern laut Teambeschluss ab dem nächsten Kindergartenjahr zwei Quadratmeter mehr Spielfläche pro Kind im Außengelände und nur einen Quadratmeter mehr im Gruppenraum. Das bedeutet, dass pro Gruppe vier Kinder weniger aufgenommen werden. Die Gruppen waren sowieso zu groß. Eine saubere Lösung.“ – „Sie gefällt Ihnen nicht? Das macht nichts. Wenn sie wollen, dürfen Sie jetzt einmal ganz laut in einen pädagogisch wertvollen Wuteimer hinein brüllen.“
„Nein, hier macht niemand den Zaun kaputt, um einen Kindergartencontainer aufzustellen. Wir haben Ihnen doch schriftlich gegeben, dass wir auf diese kastige Blechhütte in unserem Garten und auf die Aufnahme neuer Kinder verzichten. Hier herrscht wirklich kein Kindermangel.“
„Kommen Sie persönlich zur Reinigung vorbei, wenn ein Kind auf den immergrünen Plastikrasen über der Fallschutzmatte auf der geplanten Dachterrasse erbricht? – Nein? – Ja, wenn das so ist, dann können Sie die Pläne für diese schnuckelige Käfig-Kita im Obergeschoss knicken.“
„Machen Sie sich erst einmal unbeliebt,
dann werden Sie auch ernst genommen“
Konrad Adenauer
Angelika Mauel
Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich Ihnen keine ausgewogene Darstellung des Alltags in Krippen und Kitas biete. Andere tun das auch nicht.
Wie viele Kinder ich im Berufsalltag kennen gelernt habe, weiß ich nicht mehr. Auch nicht, wie viele Jeans im sportlichen Spiel mit Kindern oder Jugendlichen drauf gingen. Ich bin über fünfzig Jahre alt und traue mir inzwischen nicht mehr zu, fix eine Rutschbahn hoch zu rennen. Aber immer noch halte ich mich mit Kindern am liebsten unter freiem Himmel auf. An die Berufsrolle einer Erzieherin habe ich mich nie gewöhnen können. – So prägend kann eine kindergartenfreie Kindheit sein.
Da ich es vorgezogen habe, in den letzten Jahren „nur“ als Springkraft auf Abruf in Kindergärten zu arbeiten, verfüge ich über weniger Berufspraxis als diejenigen, die es jahrzehntelang in Krippen oder Kitas ausgehalten haben. Erst vor fünfundzwanzig Jahren habe ich erstmalig einen Kindergarten von innen gesehen. Kein Wunder, dass mein Blick auf „unsere Kinderparadiese“ ein wesentlich anderer ist, als der von Eltern und Erzieherinnen, die meist schon vor ihrem ersten Schultag in Stuhlkreisen gesessen und die Rituale und Gepflogenheiten eines Kindergartens immer wieder erlebt haben.
Mit Bus, Straßenbahn und Zug fahre ich noch oft an den Einrichtungen vorbei, in denen ich für Tage, Wochen oder Monate für Kinder da gewesen bin. Ich erinnere mich an wirklich viele Gesichter, Stimmen und sogar an den Geruch von Lieblings- oder Sorgenkindern. An Lachen, Tränen, Schnodder, Beulen und Schrammen. An tieftraurige Kleinkinder und Mütter, denen der Trennungsschmerz ähnlich hart zusetzte. (An einen weinenden Vater kann ich mich nicht entsinnen.) Das Essen für bis zu 120 Kinder wurde üblicherweise in Konvektomaten erwärmt oder der Caterer lieferte es in Plastikschläuchen. Es wurde selten frisch gekocht. Es roch selten lecker. Und doch ließen es sich die Kinder schmecken. Nahezu überall stürmten die Kinder ins Außengelände, sofern die Erzieherinnen sie rennen ließen, was meist der Fall war. Und unvergesslich bleibt – neben dem typischen An- und Abschwellen des oft enorm hohen Lärmpegels – dieser eigentümliche Moment der Stille, der am Ende eines Kindergartentages auftaucht, wenn die Massenkinderhaltung vorbei ist, wenn wirklich jedes Kind abgeholt ist. Ruhe. Die große Stille. Diese überwältigende Stille, die besser als Worte darauf aufmerksam machen kann, wie unnatürlich es in Krippen und Kitas zugeht.
Was muten Erwachsene – bei uns und anderswo – Kindern immer wieder zu? Es kann doch nicht richtig sein, dass wirkliche Stille an einem Ort für Kinder als eigentümlich fremd, als nicht zum Kosmos gehörend empfunden wird! Viele Erzieherinnen kennen diesen Moment. Es ist der Moment, wo uns bewusst wird, dass etwas gewaltig schief gelaufen sein muss.
Freundliche Grüße
Angelika Mauel